Im Vorfeld der Kommunalwahlen 2019 will die Fraktion der Freien Wähler die Ortschaftsverfassung und damit den Bestand der Ortschäftsräte in Unterharmersbach, Unterentersbach und Oberentersbach auf den Prüfstand stellen. In der nächsten Gemeinderatssitzung am 10. Dezember 2018 werden die Freien Wähler im Gemeinderat den Antrag stellen, dass die Stadtverwaltung eine entsprechende Umfrage unter allen Wahlberechtigten durchführt.
Seit der Gemeindereform im Jahr 1973 gibt es die Ortschaftsverfassung in Baden-Württemberg. Sie billigen jedem Ortsteil der Gesamtgemeinde ein eigenes Verwaltungsgremium zu: den Ortschaftsrat. Vor über 40 Jahren installiert, sollten sie den eingemeindeten Teilorten die Mitwirkung innerhalb der neu formierten Gesamtgemeinde sichern und so das Zusammenwachsen ermöglichen. Sei dieser Sinn und Zweck erfüllt, räumte der Gesetzgeber aber auch die Möglichkeit ein, diese Verfassungen wieder aufzulösen.
Diesen Zeitpunkt sehen die Freien Wähler nun gekommen, wollen sich bei der Entscheidung über den Fortbestand der Ortschaftsverfassung in Zell jedoch an der Meinung aller Wähler orientieren. Die Ortschaftsräte in Unterharmersbach und Unterentersbach gibt es seit 1974, in Oberentersbach wurde das Gremium ein Jahr später ins Leben gerufen. Nicht zuletzt die äußerst schwierige Suche nach Kandidaten für die Kommunalwahlen 2019 hat die Freien Wähler nun dazu bewogen, diesen Schritt zu gehen.
Grundsatzfrage ist lange gereift
»Die Entscheidung dazu, diese Grundsatzfrage zu stellen, ist keine spontane Idee, sondern in den zurückliegenden Jahren gereift«, betont Andrea Kuhn, die seit dem Jahr 2011 Ortsvorsteherin von Unterentersbach ist und sowohl dem Ortschaftsrat als auch dem Zeller Gemeinderat angehört. Gemeinsam mit ihrem Gemeinderatskollegen Thomas Dreher, dem Vorsitzenden der Freien Wähler Zell, ist sie sicher, dass es heute zeitgemäßere Einflussmöglichkeiten auf kommunale Entscheidungen gebe, als dies die Ortschaftsratsgremien darstellen.
Nur wenige Bürger nehmen an den Sitzungen der Ortschaftsräte teil und können damit die Überlegungen nachvollziehen, die hinter kommunalpolitischen Entscheidungen stehen. Auch die Tatsache, dass die Ortschaftsräte nur Empfehlungsbeschlüsse fassen können, die letztliche Entscheidung aber im Gemeinderat fällt, stelle die Arbeit in Frage.
Ziel der Freien Wähler ist es auch, dass das Bürgerbüro mit Poststelle im Rathaus in Unterharmersbach als Anlaufstelle für die Bürger erhalten bleibt.
Viele der Ortschaftsräte sind auch Gemeinderäte
Nach über 40 Jahren müsse man gesamtstädtisch und nicht ortschaftsbezogen denken, bezieht Andrea Kuhn weiter Position. Tatsache ist, dass vier der acht Unterentersbacher Ortschaftsräte auch Gemeinderäte sind. Von Unterharmersbach gehören sogar acht von zehn dem Gemeinderat an. »Themen werden doppelt beraten, Bauangelegenheiten dreifach behandelt«, stellt Andrea Kuhn fest und fordert, dass diese Strukturen generell hinterfragt werden müssten. Die Zahl der Sitzungen im Ortschaftsrat hätten deutlich abgenommen, seit sie nur noch teilortsbezogene Themen auf die Tagesordnung nehme.
Es müsse sich in Bezug auf die Ortschaften einiges ändern, beziehen die Freien Wähler Position. Die Befugnisse der Ortschaftsräte, die Einflussnahme der Bevölkerung und nicht zuletzt der Informationsfluss zwischen Kommunalpolitik, Verwaltung und Bevölkerung müssten verbessert werden.
Unabhängig vom Ausgang der Meinungsumfrage hat Ortsvorsteherin Andrea Kuhn für sich persönlich die Entscheidung schon getroffen. Sie wird zwar wieder bei der Kommunalwahl 2019 für den Gemeinderat kandidieren. Für den Ortschaftsrat und für das Amt der Ortsvorsteherin wird sie nicht mehr zur Verfügung stehen. Gemeinderat Thomas Dreher hat bereits angekündigt, dass er nach 20 Jahren nicht mehr für den Gemeinderat kandidiert.
Zeitgemäßere Bürgerbeteiligung finden
Die Freien Wähler haben sich bereits Gedanken darüber gemacht, was nach der Zeit ohne Ortschaftsräte und Ortsvorsteher folgen könnte. Die Position der drei Ortsvorsteher könnte auf drei Bürgermeister-Stellvertreter übergehen, die künftig teilortsbezogen gewählt werden könnten. Der Gemeinderat habe das entsprechende Vorschlagsrecht. Die Entscheidungskompetenz der Gemeindeausschüsse müsste gestärkt werden.
In den Ortschaften könnten jährlich Bürgerforen durchgeführt werden, um die Bevölkerung an den örtlichen Entwicklungen und Maßnahmen zu beteiligen. »Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich die Bürger gerne an Projekten beteiligen, aber nicht kommunalpolitisch aktiv werden möchten«, betont Andrea Kuhn. Als Beispiele nennt sie die runden Tische im Vorfeld des Baus des Bolzplatzes oder die Mithilfe von Bürgern bei der Umgestaltung des Spielplatzes in der Friedenstraße. Im Gemeinderat könnte deren Arbeit mit einem regelmäßigen Tagesordnungspunkt »Aus den Projektgruppen« verankert werden.
Die Zeit drängt
Um noch zu einer Entscheidung vor den Kommunalwahlen im Mai 2019 zu kommen, ist die Zeit eng bemessen. Die Fraktion der Freien Wähler geht davon aus, dass die Meinungsumfrage vom Gemeinderat am 10. Dezember angestoßen wird. »Wir sind gewählte Vertreter der Bevölkerung und wir wären schlecht beraten, wenn wir die Bürger nicht einbeziehen«, warnen Andrea Kuhn und Thomas Dreher davor, Politikverdrossenheit zu schüren. Man wolle die Bürger auf jeden Fall in eine solche Entscheidung mit einbeziehen.
Noch vor Weihnachten müsste nach der Zustimmung im Gemeinderat die Stadtverwaltung einen Stimmzettel pro und contra an alle Wahlberechtigten verschicken. Damit ein ortsteilbezogenes Abstimmungsergebnis möglich ist, müssten die Umschläge für die Rücksendung in den Ortsteilen unterschiedliche Farben haben. Die Frist für die Stimmabgabe müsste auf Mitte Januar 2019 festgesetzt werden.
Klar ist in der Ortschaftsverfassung geregelt, dass sich nur die Ortschaftsräte selbst auflösen können. Eine Entscheidung Pro oder Kontra muss jedenfalls vor dem 15. März 2019 fallen, denn bis zu diesem Tag müssen die Parteien ihre Wahlvorschläge für die Kommunalwahlen 2019 eingereicht haben. Es bleibt also insgesamt recht wenig Zeit, um diese weitreichende politische Entscheidung zu fällen.
Als ersten Schritt haben die Freien Wähler Bürgermeister Günter Pfundstein über ihr Ansinnen informiert. Am Montag haben sie im nichtöffentliche Teil den gesamten Gemeinderat in Kenntnis gesetzt. Gestern nun sind Andrea Kuhn und Thomas Dreher im Namen der Freien Wähler an die Öffentlichkeit getreten. Beide betonen: »Wir werden die Meinung der Bevölkerung auf jeden Fall akzeptieren, auch wenn das Ja oder Nein kein Bürgerentscheid sondern nur eine Meinungsumfrage darstellt.«

